Brauchtum

Brauchtum in Oberschlesien

Frühjahrsbrauchtum

 "Bärentreiben" (Fastnacht)

Ursprünglich wurde in Oberschlesien auf beiden seiten der Sprachgrenze ein "Erbsenbär", d.h. eine mit Strohseilen umwickelte und geschmückte Person, die dann wie ein Tanzbär aussah, unter Musik und Gesang durchs Dorf getrieben. Die Musikanten mit dem Bären besuchten alle Häuser im Dorf, wo sie Lebensmittel wie Speck, Wurst oder Eier, aber auch Geld erbettelten. Bei solchen Besitzern, die nichts geben wollten, gebärdete sich der Bär besonders wild. Endziel war traditionell das Gasthaus, wo aus den gesammelten Gaben ein leckeres Essen zubereitet wurde.
Heute wird i.d.R. ein junger Bursche als Bär verkleidet und durch Dorf getrieben. Um sich gute Ernteerträge zu sichern, soll jede Hausfrau mit dem Bären tanzen. Um sich eine Heirat im laufenden Jahr zu sichern, muss sich eine Jungfrau vom Schornsteinfeger mit Ruß beschmieren lassen. Nach einigen Unterbrechungen wird der Brauch heute im Oppelner Schlesien wieder eifrig ausgeübt, z.B. wie von der DFK-Gruppe in Königlich Neudorf (Bolko) in Oppeln.

Bärentreiben 2019 der DFK-Gruppe Königlich Neudorf (Bolko), Oppeln.
(C) Waldemar Gielzok, Oppeln.

Winteraustreiben in Polnisch Müllmen (Mionów).

„Marzanna“: Das Winteraustreiben
(21. März)

In Oberschlesien wird wie auch in verschiedenen anderen Regionen Mittelosteuropas jedes Jahr im Frühjahr eine in ein altes Kleid gekleidete Strohpuppe in einer Prozession von Kindern umhergetragen und anschließend auf dem Feld verbrannt oder in ein Gewässer geworfen. In Oberschlesien wird sie Marzanna genannt. Sie ist eine weibliche slawische Gottheit, die Frühling und Fruchtbarkeit bringt, aber auch mit Winter, Nacht und Tod assoziiert wird. Marzanna ist die Tochter des slawischen Donnergottes Perun. (Auf ihn verweist auch das oberschlesische Universalschimpfwort „pieronje“!) Durch ihre Vernichtung soll der Winter ausgetrieben werden. Danach kommen die Kinder mit einem bunt verzierten Bäumchen wieder zurück ins Dorf, wo sie bei den Einwohnern um kleine Gaben bitten. Das Winteraustreiben, das ursprünglich am Sonntag Lätare gefeiert wurde, war in weiten Teilen Oberschlesiens schon ausgestorben, als es von den polnischen Behörden nach 1945 als „typisch slawisch-polnische Sitte“ wiederbelebt wurde. Allerdings fehlt seitdem der Bezug zum Fastensonntag Lätare, denn das Winteraustreiben wird nun am Tage des Frühlingsanfangs praktiziert.

„Moyk“: der Maibaum
(30. April)

In den slawisch-sprachigen Dörfern Oberschlesiens stellten ursprünglich heiratslustige Burschen in der Walpurgisnacht einen Busch aus Reisig, Blumen und vielen bunten Bändern an der Spitze einer langen Stange möglichst hochragend am Tor zur Wohnung ihrer Auserwählten auf. Dieses Liebeszeichen wurde jedoch häufig von einem eifersüchtigen Nebenbuhler gestohlen oder vertauscht. Der „Moyk“ war unter dem Namen „Pfingststange“ in ganz Schlesien bekannt.

Bereits im 13. Jahrhundert soll er verbreitet gewesen sein. Insbesondere in Süddeutschland und Österreich ist der Maibaum noch heute ein vielgeübter Brauch. In Oberschlesien findet man ihn heute wieder häufiger. Der „Moyk“ wird aber heute wie in Deutschland üblich feierlich auf dem Dorfplatz für die ganze Gemeinde errichtet. Der Überlieferung nach soll der Baum vor Unglück schützen und einen gesegneten Frühling bringen. Gerade für die Mitglieder der Deutschen Minderheit ist das Maibaum-Aufstellen ein Symbol ihrer deutschen Traditionen, denn der „Moyk“ ist in Polen sonst fast unbekannt.

Maibaum in Polnisch Müllmen (Mionów)

Kroszonki - oberschlesische Ostereier.



Kroszonki (Ostereier)

In der Vorosterzeit werden v.a. im Oppelner Land Ostereier mit der Gravurmethode hergestellt. Die Muster werden dabei mit einem Rasier- oder Schumachermesser in das gefärbte Ei gekratzt. Diese Technik ist auch in Polen, Tschechien, der Slowakei und der deutschen Lausitz bekannt. Die Oppelner Kroszonki zeigen zumeist Blumenmotive oder abstrakte Muster. Im Oppelner Land werden die Kroszonki auch bei Wettbewerben, Ausstellungen und Vorführungen gezeigt.  Daneben gibt es noch "pisanki", die mit Wachsbatiktechnik hergestellt werden, oder die "naklejanki", die beklebt werden. In manchen Läden des Oppelner Landes kann man diese Ostereier auch als Souvenier erwerben.

Herbstbrauchtum

Erntedankfest und Erntekronen
(erster Sonntag im Oktober)

Das Erntedankfest wird in Oberschlesien traditionell Anfang Oktober gefeiert. In jeder Gemeinde ist dann reihum ein Ort für die Ausrichtung verantwortlich. Das ganze Dorf wird dafür mit Strohpuppen geschmückt. Jedes Dorf fertigt eine prachtvolle Getreidekrone, die sog. "Erntekrone", an, von denen die schönste prämiert wird. Diese Schmuckstücke werden traditionell von den frauen des Dorfes aus Draht und Getreideähren in mühevoller und zeitraubender Arbeit hergestellt.

Das Erntedankfest beginnt i.d.R. mit einem Festumzug, bei dem die Erntekronen gezeigt werden. Mehrere Wagen sind mit lustigen Motiven geschmückt. Nach dem Umzug trifft man sich in einem Festzelt, wo zu Musik getanzt, gegessen und getrunken wird.

Erntekrone in Körnitz (Kórnica) um 1932
(C) A. Smarzly - Oberschlesisches Dorfleben über 100 Jahre im Bild.


Christliches Brauchtum: Prozessionen

Im katholischen Oberschlesien gehören Prozessionen ebenso wie der sonntägliche Kirchenbesuch zum täglichen Leben. Wichtig sind z.B. die Hagelprozessionen zu St. Urban, die in der Zeit vom 25. Mai (St. Urban) bis zur Ernte an allen Sonnabenden durch Bittgänge und Feldprozessionen unter Unterlassung jeglicher Feldarbeit gefeiert werden. Diese Sonnabende sind Gelöbnisfeiertage für die Abwendung von Hagelschlägen. Von besonderem Interesse für besucher sind in Oberschlesien die Reiterprozessionen zu Ostern sowie die Fronleichnamsprozessionen.
„Rajtowanie“: das Osterreiten (Ostersonntag)

Das Osterreiten ist ein in den Regionen Bayern, Franken, Böhmen, Mähren, der Lausitz und Oberschlesien erhaltenes altes religiöses Ritual in Form einer Reiterprozession, bei der die Auferstehung Jesu Christi verkündet wird. In Oberschlesien sind dafür allerdings nur wenige Orte bekannt: Groß Peterwitz (Pietrowice Wielkie), Benkowitz (Bieńkowice) und Sudoll (Sudół) bei Ratibor (Racibórz), Sternalitz (Sternalice) und Bischdorf (Biskupice) bei Rosenberg (Olesno), und Ostroppa (Ostropa), heute Stadtteil von Gleiwitz (Gliwice). Auch in der tschechisch-oberschlesischen Gemeinden Luck (Lukavec) bei Fulnek ist das Osterreiten noch gebräuchlich. In Groß Peterwitz ist das Osterreiten seit über 300 Jahren nachgewiesen. Im örtlichen Dialekt heißt es „rajtowanie“, abgeleitet vom deutschen Wort „reiten“. Bei den Prozessionen kommen bei gutem Wetter teilweise über 100 Reiter zusammen. Wie bei normalen Osterprozessionen wird der Zug von einem Priester in vollem Ornat angeführt. Hinter ihm tragen Gemeindemitglieder die Figur des auferstandenen Christus und ein Kruzifix. Gemeinsam reiten die Prozessionsteilnehmer aus dem Ort heraus auf die Felder, wo bei einem Bittgottesdienst unter freiem Himmel für eine gute Ernte gebetet wird. Danach segnet der Priester die Felder der Landwirte.

Osterreiten in Benkowitz (Bieńkowice) bei Ratibor (Racibórz) 2019
(C) Marius Widrinski
"Osterreiten in Ratibor-Sudoll (Racibórz Sudół) 2018"
(Video: YouTube)

 „Fronleichnam“: Die Dorfprozessionen
(Donnerstag, 60 Tage nach Ostern)

Zu Fronleichman (abgeleitet von mittelhochdeutsch „des Herren Leib“) wird von der katholischen Kirche seit dem 13. Jahrhundert die bleibende Gegenwart Jesu Christi im Sakrament der Eucharistie, dargestellt durch Brot und Wein, gefeiert. Das in ganz Polen wichtige Kirchenfest ist sogar gesetzlicher Feiertag. Zu Fronleichnam wird in allen Dörfern und Städten Oberschlesiens nach dem Hochamt die Fronleichnamsprozession zu vier Kapellen oder Altären begangen. Die Bauern oder Bürger wetteifern dabei um deren Ausschmückung. In größeren Dörfern kann der Weg der Prozession jährlich wechseln. Immer sind andere Bewohner für die Ausgestaltung der Altäre oder Kapellen verantwortlich. An jeder Kapelle bzw. jedem Altar findet eine Andacht statt, dann kehrt die Prozession wieder in die Kirche zurück.

Fronleichnamsprozession in Kerpen (Kierpień)

Christliches Brauchtum: Wallfahrten

Sankt Annaberg Wallfahrten

Wallfahrer aus Körnitz (Kórnica)
(C) A. Smarzly - Oberschlesisches Dorfleben über 100 Jahre im Bild.

Seit der Gegenreformation und der Gründung des dortigen Franziskanerklosters im Jahre 1656 ist der Sank Annaberg mit seiner Pfarrkirche Oberschlesiens zentraler Wallfahrtsort. Die Pilger kommen hierher, um bei der Figur der Anna Selbdritt zu beten und gemeinsam den Gottesdienst zu besuchen.

Traditionell wurde der Weg zum Annaberg samstags zu Fuß in Form einer Prozession zurückgelegt. Häufig wurden die Pilger bereits am Fuße des Berges von einem Franziskanerpater in Empfang genommen. Hier wurde auch erst einmal Rast gemacht, um nach einer Stärkung mit dem mitgeführten Proviant für den Rest des Weges, der ja dann stetig bergauf ging, gerüstet zu sein. Mit dem Franziskanerpater ging es dann in die Wallfahrtskirche zum Gottesdienst. Nachmittags und abends folgten weitere Prozessionen um die Wallfahrtskirche. Sonntagmorgen ging es nach Poremba, wo in einer feierlichen Prozession die Mariae-Himmelfahrt-Figur von Mädchen in weißen Kleidern bergauf zur Wallfahrtskirche getragen wurde. An der Grotte wurde dann das Pontifikalamt gefeiert. Danach ging es wieder nachhause.
"Minderheitenwallfahrt
auf dem Sankt Annaberg (Anfang Juni)"
(Video: Schlesien Journal 2014)

Seit den 1990er Jahren findet in Oberschlesien auf dem Sankt Annaberg immer im Juni die Minderheitenwallfahrt statt. Hier trifft sich die Deutsche Minderheit zum Gottesdienst in deutscher Sprache, aber auch die Roma der Region nehmen daran teil. Die Wallfahrt ist Ausdruck des gemeinsamen katholischen Glaubens sowie der kulturellen Zusammengehörigkeit der Oberschlesier.

Wallfahrt der Nationen in Maria Hilf
(Ende September)
Wallfahrtsort Maria Hilf bei Zuckmantel (Zlaté Hory).

Immer Ende September findet seit 1995 die „Wallfahrt der Nationen“ in dem kleinen Wallfahrtsort Maria Hilf bei Zuckmantel (Zlaté Hory) in Tschechien – direkt hinter der polnischen Grenze bei Neustadt/OS (Prudnik) – mit Teilnehmern aus Polen, Tschechien und Deutschland statt. Die Wallfahrt entstand auf Initiative des Minderheitenseelsorgers der Diözese Oppeln, Pfarrer Wolfgang Globisch, der damit die drei Nationen verbinden wollte. Anlass war die Einweihung der dortigen Wallfahrtskirche, die 1995 wieder neu errichtet worden war.

Bereits vor dem Zweiten Weltkrieg waren v.a. die benachbarten Neustädter häufig nach Maria Hilf gepilgert. Zur Zeit des Kommunismus waren die Wallfahrten jedoch verboten worden. Die Kirche verfiel zunehmend, 1973 wurde sie gesprengt. Seit 1995 ist der Ort hingegen wieder im Zeichen der Völkerversöhnung aktiver Wallfahrtsort.
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